Nach dem gerade einmal ein Jahr alten Debüt „The Warrior’s Code“ setzen die Gelsenkirchener Schwermetaller erneut die Segel und laden ihre Waffenbrüder ein, mit der „Ocean Blade“ ein weiteres Mal Jagd auf den unheilverheißenden Meeresdämon Sedna zu machen. Die rührselige Geschichte um das vom eigenen Vater in die Untiefen des Ozeans gestürzte Eskimomädchen ist dem geneigten Fan natürlich hinlänglich bekannt, bietet der Stoff jedoch genug Inspirationspotential für eine spannende Fortsetzung.
Artworktechnisch wandeln die fünf Kumpel auf den Pfaden des fulminanten Vorgängers. Erinnerte der Einstand mit der eisbärreitenden Kriegerin zwar noch eher an die Fantasyverfilmung „Der Goldene Kompass“ scheint „Ocean Blade“ sich stärker an „Moby Dick“ zu orientieren. Dennoch wirken beide Arbeiten wie aus einem Guss und lassen schon erahnen, dass die neuen Abenteuer der Crew ähnlich turbulent werden dürften.
Mit einem obligatorischen Meeresrauschen sticht die „Ocean Blade“ also in See und schreckt auch davor nicht zurück, Freund Hein mit an Bord zu nehmen. „Hiring the Dead“ offenbart sich als Bärenstarker Dosenöffner, der gradlinig seine Fahrt aufnimmt und dabei von recht harten Melodielinien untermalt wird. Frontsau Johnny La Bomba präsentiert dabei gleich mehrere Aspekte seines variantenreichen Organs. Mal rau wie die wilde See, mal sirenenhaft wie der Prince of Darkness, aber niemals daneben. Der Refrain ist äußerst eingängig und dürfte dafür Sorge tragen einen künftigen Livekracher produziert zu haben.
Wesentlich mehr Seegang erhält das powermetallische Flaggschiff im zweiten Stück „E mare, E Libertad“, das in allen Regeln der Kunst hart am Wind steil nach vorne prescht. Etwas ungewaschener als im Opener zeigt Johnny hier, dass er auch die kratzigeren Momente eines Eric Adams beherrscht, was durchaus positiv zu verstehen ist und uns an die besseren, weil schmutzigeren Momente der einstigen Metalheroen erinnert. Hier ist schlicht alles vorhanden was der headbangende Seebär braucht: Das Meer und die Freiheit.
Der Titelsong hält zunächst den Kurs nach kurzem Geplätscher. Das Waffenarsenal umfasst so ziemlich alles was für ein genrespezifisches Stück typisch erscheint, sehr eingängige Melodien natürlich mit eingeschlossen. Die Instrumentalfront weiß nicht erst hier mit ihrem filigranen aber stets temporeichen Spiel vollends zu überzeugend und gewährt lediglich im letzten Drittel eine kurze Verschnaufpause bevor sie den Hörer wieder ordentlich Kiel holen lässt.
Mit noch einigen Knoten mehr im Fahrwasser feuert „The Master’s Hand“ die Kanonensalven geradezu maschinengewehrartig in die Ohrmuscheln von Freund und Feind. Das Klampfenduo Vito / Shredmaster JB leistet hier ganze Arbeit und stellt einmal mehr die unglaubliche technische Versiertheit zur Schau, die vielleicht nur noch vom alles wegblasenden Basedrumgewitter von Schießbudenkönig Hartmut getoppt wird. Der Refrain des Stückes eignet sich wieder hervorragend zum Mitsingen was das Gesamtrepertoire um ein weiteres Live Juwel erweitern dürfte.
Der schon episch anmutende Titel des fünften Songs „Cradle of Heroes“ wird zunächst von einer längeren Instrumentalpassage eingeleitet. Hier und da ein paar progressive Zierelemente an die Reling angebracht, galoppiert das Stück auf einer sehr griffigen Hookline dem Klabautermann furchtlos entgegen, wie es sich für einen anständigen Helden auch gehören will.
Im überraschend bedächtigem Tempo werden in „Black Legacy“ die Schwarzfahrer über Bord geschickt. Hab ich hier überhaupt noch die richtige CD an oder sind das Blind Guardian? Nein, Hansi klingt anders. In feister Barden-Manier wird hier ein Ständchen kredenzt, dass sicher nicht jedermanns Sache ist, mir hingegen gefällt die Testamentsvollstreckung ausgesprochen gut. Experiment gelungen!
Dem „Call to Arms“ von Moneywar folgt wohl heute nur noch die getreueste Gefolgschaft, denke ich mir, während ich liebevoll auf mein vollkommen überteuertes Ticket für den nächsten Auftritt herabschaue. Dann wohl lieber gleich ins Gefecht mit den glorreichen fünf. „All Men to the Arms“ ist mal ein Sturmangriff der sich sehen lassen kann. Das powermetallische Paradestück lässt absolut nichts vermissen und reiht sich in nahtlos ein in die beachtenswerte Riege an Volltreffern die „Ocean Blade“ hier aufzuweisen hat.
Käpt'n auf der Brücke! Dieses Lied ist dem Segel erfahrenem Kompagnon der Band, Skipper Carl McGuerkin gewidmet, der seine Schützlinge nicht nur regelmäßig zu Höchstleistungen anspornt, sondern auch stets zur Stelle ist, wenn es brenzlig wird und – nicht zu vergessen – seine Crew zu diesem erstklassigem Gassenhauer inspiriert hat. Das vielleicht beste Stück eines bis hierhin lupenreinen Silberlings.
Der „Siren Song“ lässt schon in seinen ersten Momenten eine ordentliche Portion Piratenfeeling aufkommen, wie man es noch von den guten alten Running Wild-Scheiben her kennt. Auch geschwindigkeitstechnisch braucht man die Konkurrenz mit dem alten Seewolf Rolf keinesfalls zu scheuen. Ein echter Wellenbrecher, den sich Fans der genannten Referenzband so von ihren Legenden noch einmal wünschen würden.
Das abschließende melancholische Streicher Instrumental „Legacy Ocean“ gibt der Scheibe einen runden Schluss wie der Absacker im Anschluss an eine variantenreiche Käseplatte als Bestandteil eines 10-Gänge Menüs. Eben für den Genießer gemacht.
Ich hätte nicht geglaubt, dass Gloryful mit „Ocean Blade“ ihren Einstand noch einmal toppen würden, aber genau dieser Kunstgriff scheint den Jungs tatsächlich gelungen zu sein. Ich wage jetzt schon die vielleicht etwas mutige Behauptung, dass es in diesem Jahr im gleichen Genre keine ähnlich starke Scheibe mehr geben wird. „Ocean Blade“ ist ein Album ohne erwähnenswerte Schwachpunkte, gespickt mit jeder Menge Hits, ein absoluter Pflichtkauf für fast jeden Szenegänger. Anspieltipps: Die ganze verdammte Scheibe! Eilige konsultieren bitte den Kapitän.