Christian Krumm
Keine Alter-Egos
Eternalconcert: Hi Christian! Danke, dass du dir die Zeit nimmst mit uns über deine neuestes Buch zu schreiben. Das Buch handelt von einem jungen Erwachsenen, der aus relativ normalen Verhältnissen stammt und zunächst nicht viel mit der Metalszene zu tun hat. Was kannst du uns über die Handlung noch verraten, ohne zu viel zu erzählen?
Christian: In erster Linie, dass der junge Erwachsene, Alioscha ist sein Name, vor der Frage steht, ob er ein „ganz normales“ Leben führen möchte oder seinem Gefühl nachgibt, das ihm sagt, er sei irgendwie anders. Das führt ihn in die Szene. Ich denke die Höhen und Tiefen, die Erfolge und Katastrophen, die im Verlauf der Geschichte passieren, laufen im Wesentlichen auf dieses Problem und seine Konsequenzen hinaus. Aber eben auch auf die Frage, ob er nun anders ist oder nicht und inwiefern es überhaupt das „Normale“ gibt.
Eternalconcert: Der Titel ist einem Slayer-Song entlehnt. Der Klappentext verrät, dass es um die Metaller geht, die bei Dämmerung schlafen. Da ich nicht gewillt bin das allzu wörtlich zu verstehen, gehe ich davon aus, dass du damit die "Alter-Egos" der Menschen meinst. Wenn dem so ist: Könnte man es nicht als "untrue" missverstehen, wenn man in der Morgendämmerung sein Metallerdasein schlafen schickt und gleichsam wie ein Kostüm auszieht? Oder bin ich hier komplett auf dem Holzweg?
Christian: Nein, den Eindruck könnte man bekommen (also, indem Du den Eindruck hast, ist es ja schon Fakt, dass es möglich ist, ihn zu bekommen). Vielleicht würde ich nicht direkt von „Alter Egos“ sprechen, denn Metaller sind schon 24 Stunden am Tag Metaller, zumindest im Geiste. Aber wenn sie zum Beispiel einem gewöhnlichen Job nachgehen, dann zeigen sie diese Metallerseite eben nicht so offen, zumal ein Mensch ja schon einen facettenreicheren Charakter hat, als einfach nur Metaller zu sein. Das passiert dann eher in der Nacht. Nun, „untrue“ ist so eine Sache. Ich finde genau diese Zweischneidigkeit so schön an der Szene und so möge sich daran anstoßen, wer will, falls er es als „untrue“ empfindet.
Eternalconcert: Du wurdest schon in einigen Interviews nach den Vorlagen für deine Figuren gefragt. Auch für unsere Leser nochmal: Deine Personen sind fiktiv, einige ihrer Eigenheiten gehen aber auf Personen aus deinem Umfeld zurück. Haben die entsprechenden Leute schon bemerkt, dass sie gemeint sein könnten?
Christian: Ja, sie wissen das und es macht ihnen nichts aus. Zudem sind es wirklich nur winzige Kleinigkeiten, mal ein Spruch, eine Eigenart, aber nichts, was ein Außenstehender, der sie trifft und das Buch gelesen hat, sofort erkennen würde. Das war mir einfach auch wichtig.
Eternalconcert: Du brichst mit einigen gängigen Erzähltechniken indem du die Handlung zum Teil durch Monologe vorantreibst, die keine Person als solche wiedergibt, sondern aus einer unbestimmten Wir-Perspektive geschrieben sind. Hast du keine Angst, dass solch ein künstlerischer und vielleicht zu Beginn etwas verwirrender Ansatz den einen oder anderen Leser überfordern könnte?
Christian: Angst ist vielleicht nicht das richtige Wort. Ich habe die Geschichte in die Form gegossen, die mir selbst am besten erschien. Das Ergebnis gestaltet sich nun schon so, dass man anfangs ein wenig Geduld haben und sich darauf einlassen muss. Wer die Geschichte erzählt, ist eine der Hauptfragen des Buches. Aber Du hast schon Recht, ich habe lange darüber nachgedacht, wie ich das umsetzen kann und viele Varianten durchprobiert. Und Angst muss man ohnehin überwinden, wenn man Bücher schreibt. Das begleitet den gesamten Entstehungsprozess.
Eternalconcert: Sind Namen und Orte Zufall oder sind sie interpretationswürdig? Ich denke da zum Beispiel an die Figur der Maria, die zunächst recht unschuldig, sogar naiv dargestellt wird. Ist der Name der Mutter Gottes hier bewusst gewählt, oder klingt er einfach nur gut? Ähnliches kann man auch zu Eva, der Freundin von Protagonist Alioscha fragen. In diesem Zusammenhang: Welche Büchse hat z.B. die Frau mit dem (Spitz-)Namen Pandora dabei?
Christian: Bei Eva und Pandora war es so, dass die Figuren in meinem Kopf bzw. auf dem Papier aufgetaucht sind und sie hießen eben Eva und Pandora, von Anfang an. Das passiert manchmal einfach so. Bei Tyler und Alioscha ist das ein wenig anders, aber da Du nach Maria fragst, ihr Name hat nichts direkt mit der Mutter Gottes zu tun. Er ist aus dem Queensryche-Album „Operation Mindcrime“ entlehnt. Der Song „Suite Sister Mary“ hat eine sehr dramatische und düstere Atmosphäre und genau so eine Szene wollte ich als Höhepunkt der Entwicklung der weiblichen Protagonistin. Sie ist überhaupt nur so konzipiert, damit sie am Ende diese Szene hat und so lag es nahe, sie Maria zu nennen.
Eternalconcert: Lass uns mal einen Bogen zur Realität spannen. Du hast einige Bands gebeten, eine Art Soundtrack bei zu steuern. Erzähl mal, wie man sich das vorstellen kann.
Christian: Es geht auf eine Idee vom Path Of Golconda-Schlagzeuger Roman Bartosch zurück, der das Buch auch Probe gelesen hat. Er meinte, wäre doch cool, wenn Bands unter den Pseudonymen der erfundenen Bands im Roman einen Song aufnehmen würden. Path Of Golconda selbst haben dann einen Song für die „Hauptband“ geschrieben, „Dawn Of Devastation“. Aber es sind tatsächlich noch um die 20 Gruppen zusammen gekommen. Die Lieder werden gesammelt und zunächst für eine begrenzte Zeit online zur Verfügung gestellt. Das Weitere wird man sehen, aber ein physischer Sampler ist in jedem Fall das Ziel.
Eternalconcert: Ebenso der Realität entlehnt sind zum Beispiel "die immer mindestens zwei Frauen" die auf den Konzerten jeder noch so kleinen Band auftauchen. Das ist schon fast ein Klischee. Muss man nicht unheimlich aufpassen, um beim Schreiben eines solchen Buches nicht an jeder Ecke in die Klischeefalle zu tappen? Du willst die Szene oder einzelne Personen ja auch nicht der Lächerlichkeit preisgeben.
Christian: Das mit den Klischees ist natürlich eine Gefahr gewesen, mehr ein Balanceakt. Deswegen habe ich schon darauf verzichtet zum Beispiel den typischen Black-, Viking-, True- oder was weiß ich was-Metaller mit reinzubringen. Es ging ja um die Charaktere, die sich dahinter verbergen. Umgekehrt besteht Metal nun einmal zu einem gewissen Prozentsatz aus Klischee. Insofern konnte ich es auch nicht ganz draußen lassen. Was die Lächerlichkeit betrifft: In allererster Linie finde ich es lächerlich, wenn sich die Szene und ihre Mitglieder selbst zu ernst nehmen. Das gilt aber praktisch für alle Menschengruppen aus meiner Sicht. Natürlich gibt es satirische Momente in dem Buch und ich finde, nicht gerade wenige. Aber niemand wird persönlich verunglimpft oder angegriffen. Wer sich dennoch beleidigt fühlt, möge sich gerne bei mir beschweren.
Eternalconcert: Dein erstes Buch "Kumpels in Kutten" erzählt die (reale) Geschichte des Metals im Ruhrgebiet. Du nennst zwar keine Ortsnamen im neuen Buch, aber Hand aufs Herz: Das ist doch der Pott. Das Einkaufszentrum mit seiner Promenade und dem Aquazoo "Ocean World" am Eingang ist doch das CentrO in Oberhausen. Und auch einige andere Beschreibungen kamen mir als Pottkind mehr als vertraut vor. Absicht?
Christian: Alles, was in einem Roman steht, und ebenso das, was nicht drin steht, ist Absicht. Nur die späteren Deutungen kann man eben nicht beeinflussen. Was die Orte betrifft, so brauchte ich ein Einkaufszentrum, in das von offizieller Seite aus jede Menge Geld gepumpt wird, während andere Stadtteile sich selbst überlassen werden. Ebenso brauchte ich für Maria ein „Meer“, aber ich wollte eben kein richtiges Meer haben, denn vom Strand aus kann man nicht so gut Fische beobachten und wenn man taucht, gestaltet sich ein Dialog schwierig. So ist die Stadt, in der „At Dawn They Sleep“ spielt, eine Mischung aus verschiedenen Städten geworden, auch aus dem Ruhrgebiet. Man merkt schon, dass es nicht das Allgäu ist. Aber ich habe es eben auch absichtlich nicht konkret benannt. Übrigens hat Björn Gooßes (Killustrations, The Very End, Red.), der das Cover gemacht hat, das auch so gesehen und einen winzigen Hinweis in das Cover eingebaut, dass es im Ruhrgebiet spielt. Das fand ich wiederum sehr originell.
Coverartwork
Eternalconcert: Sind wieder Lesungen mit musikalischer Unterstützung geplant, wie seinerzeit bei 'Kumpels in Kutten'?
Christian: Ja, es wird viele Lesungen geben, ich denke mal so gut ein Dutzend noch dieses Jahr, einige davon mit Bands. Black Space Riders (16.5., Rare Guitar Shop, Münster), Abnormal End (1.6., Bollecke, Duisburg) sowie Polaris und Adligate (30.8., Kultopia, Hagen) stehen schon fest. Weitere sind in Planung. Ich freue mich richtig über die Unterstützung von den Bands, denn es macht die ganze Geschichte noch lebendiger.
Eternalconcert: Wird es eine Fortsetzung geben? Oder stehen andere literarische Projekte an?
Christian: Ich denke im Moment, dass es keine Fortsetzung geben wird. Indem der Erzähler seine „final chance to speak“ bekommt und die Geschichte mit einer bestimmten Frage endet, ist die Fortsetzung gewissermaßen in die Realität abseits der Literatur verlegt. So möge jeder selbst im kommenden Festivalsommer seine persönliche Geschichte weiterschreiben und sich darüber freuen, dass die Metalszene nach über 30 Jahren immer noch in dieser Form Bestand hat. Ich werde das tun und im Moment habe ich das Gefühl, mit diesem Buch mein Statement und meine Sichtweise auf dem Punkt gebracht zu haben. Jetzt schweben mir andere Geschichten vor. Sicher wird Musik noch eine gewichtige Rolle spielen, aber ein derartiger Szeneroman wird es nicht werden. Ich habe in einigen Interviews davon gesprochen, dass es eventuell noch einen Roman zu diesem Thema geben wird, aber zurzeit, da das Buch schon fast drei Wochen auf dem Markt ist, sehe ich eigentlich keine Veranlassung dazu.
Eternalconcert: Vielen Dank! Möchtest du noch ein paar Sätze in eigener Sache loswerden?
Christian: Wenn Ihr Bock auf schreiben habt, tut es und gebt es anderen zu lesen. Es macht Riesenspaß!
Fragen von Hoschi am 23.04.2014